Europas Wachstumsmotor ist ins Stocken geraten.
In Deutschland hat sich die Inflation verlangsamt. Die Löhne sind robust. Der Arbeitsmarkt ist solide. Und doch: Im gesamten Industriesektor breitet sich ein tiefes Unbehagen aus, das nur wenige Analysten vorausgesehen haben. Deutschland ist neben Argentinien das einzige G20-Land, für das laut OSZE in diesem Jahr ein BIP-Rückgang zu erwarten ist.
Wie sollen sich Anleger in einer Welt zurechtfinden, in der ein einstmals verlässlicher Wirtschaftsmotor zum Nachzügler wird, der in eine Spirale der Deindustrialisierung gerät und dabei ganz Europa mitzureißen droht?
Der Krieg in der Ukraine hat der langjährigen Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und Russland ein Ende gesetzt. Die Auswirkungen der russischen Vergeltungsmaßnahmen sind nun in vollem Umfang zu spüren.
„Es wird jetzt klar, wie sehr die deutsche Industrie unter der Gasknappheit gelitten hat“, sagt Helen Thompson, Professorin für politische Ökonomie an der Universität Cambridge. „Deutschland befindet sich in einer alptraumhaften Situation.“
Die wirtschaftlichen Probleme des größten Handelspartners China haben diesen Alptraum noch verschärft. Exporte nach China machen mehr als 3 Prozent des deutschen BIP aus.
Die aktuellen Schwierigkeiten Deutschlands wurden durch externe Faktoren verursacht, sie haben aber auch Schwachstellen in einem Wirtschaftsmodell offenbart, das tief in alternden Industrien wie der Chemie- und Automobilbranche verwurzelt ist.
Beide Bereiche sind in Deutschland existenziell bedroht – die Chemieunternehmen durch hohe Energiekosten und die traditionellen Automobilhersteller durch den Umstieg auf Elektrofahrzeuge.
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In Zeiten beispielloser Risiken sehen wir die Chancen.
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Es gibt viele Veränderungen – und alle gleichzeitig. Das ist ein Problem für Deutschland. Wenn wir uns nicht anpassen, wird das zu einem Domino-Effekt führen.“
Sebastiano Ferrante
Head of Europe,
PGIM Real Estate
Anteil des verarbeitenden Gewerbes am BIP
Kann die deutsche Industrie die enormen Herausforderungen bestehen?
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Quellen: OECD, Bloomberg, 2021
21
%
Deutschland
G7-Länder
%
14
(ohne Deutschland)
DIE HERAUSFORDERUNG
Niemand weiß, wann und unter welchen Bedingungen der Krieg in der Ukraine beendet sein wird. Investoren können aber ihren Ansatz auf Grundlage der geänderten Dynamik überprüfen.
Zu Zeiten, als in den USA die Produktion von Fracking-Gas boomte, baute Deutschland seine Beziehungen zu Russland weiter aus und unterzeichnete 2017 das Nord-Stream-2-Abkommen. Als Russland dann in die Ukraine einmarschierte und die Gaszufuhr bedroht war, hatte Deutschland keine LNG-Terminals und damit keine Möglichkeit, Flüssigerdgas aus den USA zu beziehen.
Jetzt ist das Industriegas in Deutschland teuer und es werden mit Rekordgeschwindigkeit LNG-Kapazitäten aufgebaut. Damit allein ist das Problem aber nicht gelöst. Denn gleich, wie viele LNG-Häfen Deutschland in kurzer Zeit bauen kann, argumentiert Polit-Ökonomin Thompson, deutsche Importeure müssen mit asiatischen Ländern um Lieferungen konkurrieren - Und das parallel zur Energiewende.
Sebastiano Ferrante, Europa-Chef von PGIM Real Estate, glaubt, dass Deutschland vor einer großen – vielleicht unlösbaren – Aufgabe steht.
„Wenn man mit jemandem aus dem Ausland spricht, gehen alle immer davon aus, dass Deutschland ein sehr gut funktionierender Markt ist“, sagt Ferrante, der in Frankfurt ansässig ist. „Aber einige deutsche Wirtschaftsführer klagen angesichts der Entwicklung: Es wird alles immer ineffizienter. Wir schaffen es nicht einmal mehr, Züge pünktlich fahren zu lassen. Die Dinge haben sich geändert. Sie funktionieren einfach nicht mehr so wie früher‘.“
Darüber hinaus müssen Anleger einen Perspektivwechsel vollziehen. Denn die Beziehungen zwischen Deutschland und China entwickeln sich auf unvorhersehbare Weise. Während die USA versuchen, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu China zurück zu fahren, und die deutsche Regierung und die Wirtschaft drängen dasselbe zu tun, haben deutsche Unternehmen, die in China bereits aktiv sind, ihre Investitionen sogar noch erhöht, um die Verluste durch die steigenden Energiekosten in Europa auszugleichen.
So haben beispielsweise die Industriegiganten BASF und Volkswagen ihr Engagement in China ausgeweitet und Milliarden in Produktionsstätten und Partnerschaften gesteckt.
„Es besteht das Risiko, dass Deutschland hier in die gleiche geopolitische Falle läuft wie in der Gasbeziehung zu Russland“, sagt Thompson. „Es ist eine Wette darauf, dass sich Unternehmensinteressen gegen die aktuelle geopolitische Logik des amerikanisch-chinesischen Konflikts durchsetzen können. Vielleicht klappt das. Vielleicht auch nicht.“
DIE AUSWIRKUNGEN
Trotz der enormen Ungewissheit können versierte Anleger laut Ferrante ihren Investitionsansatz für Deutschland wirksam anpassen.
„Wenn die Preise auf breiter Front fallen, könnte es hier sehr interessant werden“, glaubt er. „Das könnte eine gute Gelegenheit zum Kauf sein.“
Ein für Anleger sehr interessanter Bereich sind Immobilien.
„Deutschland ist in einer ähnlichen Situation wie Spanien nach Beginn der globalen Finanzkrise, mit dem Überangebot an Wohnungen und der enormen Preiskorrektur“, sagt Ferrante. „In Deutschland scheint etwas ähnliches zu passieren, weil diese Probleme jetzt zusammenkommen und weil die Immobilienwerte so stark gestiegen sind. Aus dieser Notlage heraus könnten sich interessante Chancen für Distress-Investments ergeben.
Ein längerer Abschwung in Deutschland würde zu einer Rezession in ganz Europa führen. Ferrante hält es jedoch für möglich, dass sich Deutschland an eine zunehmend fragmentierte und umweltfreundlichere Welt anpassen kann, indem es sich auf seine Stärken besinnt.
„Strukturell gesehen bietet Deutschland in allen Bereichen interessante Chancen“, sagt Ferrante. „Alles, was mit technischen Lösungen für eine nachhaltigere, dekarbonisierte Welt zu tun hat, hat ein enormes Potenzial. Ich denke, dass die Unternehmen, die jetzt neue Lösungen und Technologien entwickeln, durch die staatlichen Subventionen einen Schub erhalten werden.“
Mit anderen Worten: Es gibt Chancen für Investoren, die sich ein anderes Deutschland vorstellen können.
In der Schicksalsstunde für den Wachstumsmotor Deutschland kommt es darauf an, die Möglichkeiten zu erkennen.
DAS FAZIT
This is a puzzling moment in the US. It is a very perilous one for China. That makes this a very uncertain moment not just for the two countries, but the world.”
Senior Fellow,
Brookings Institution
Eswar Prasad
