Japan schlägt möglicherweise ein neues Kapitel seiner Nachkriegsgeschichte auf.
Die Preis- und Lohnsteigerungen deuten darauf hin, dass „die Wirtschaft in ihrem 25-jährigen Kampf gegen die Deflation einen Wendepunkt erreicht“, heißt es in dem kürzlich veröffentlichten jährlichen Wirtschaftsbericht der japanischen Regierung.
Nach Jahrzehnten der Stagnation und Deflation scheint Japan eine Phase nachhaltiger Inflation zu erleben. Die Verbraucherausgaben steigen. Abgesehen von einem kurzzeitigen Rückgang im Spätsommer, wachsen die Exporte kräftig.
Das Blatt hat sich gewendet. Die gestärkte Position der japanischen Wirtschaft steht in scharfem Kontrast zu den vergleichsweise schwachen Wachstumsaussichten in der restlichen Welt. Wie wird ein wiedererstarktes Japan die Investitionslandschaft verändern?
Für Investoren ist die Japanische Wirtschaft bisweilen nicht leicht zu durchschauen. Für sie gelten schon lange andere Regeln, und die japanische Zentralbank hat im Gegensatz zu den anderen großen Zentralbanken sehr lange an ihrer ultralockeren Geldpolitik festgehalten.
Jetzt führen bereits geringfügige Schritte in Richtung einer Normalisierung bei den Anlegern zu Erwartungen drastischer Änderungen der Geldpolitik – mit entsprechenden Konsequenzen für die globalen Märkte.
„Wenn es um den Sonderfall Japan geht, müssen die Anleger unbedingt ihre Annahmen hinterfragen und ihre Perspektive ändern,“ sagt Magdalena Polan, Head of Emerging Market Macroeconomic Research bei PGIM Fixed Income.
„Starren Sie nicht nur auf die blinkenden Lichter – sonst verstehen Sie die großen Zusammenhänge in Japan nicht,“ sagt Polan.
Ihrer Beobachtung nach sind Investoren zu Unrecht auf die Geldpolitik fixiert, während die Strukturreformen in Japan die eigentliche Story sind. In Zeiten, in denen China für Asien-Investoren immer weniger interessant wird, könnte Japan als drittgrößte Wirtschaft der Welt profitieren.
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In Zeiten beispielloser Risiken sehen wir die Chancen.
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Ich denke, in Japan haben wir eine Chance für einen echten strukturellen Umbruch. Es wird endlich aus seinem Dornröschenschlaf erwachen.“
MAGDALENA
POLAN
Head of Emerging Market Macroeconomic Research, PGIM Fixed Income
Japans Wirtschaft nimmt Fahrt auf
Findet Japan zurück auf den Pfad einer dynamischen Wirtschaft?
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Quellen: Japanisches Finanzministerium, Rengo, japanische Zentralbank (Juli 2023)
15,5
%
im Haushaltsjahr 2022
DIE HERAUSFORDERUNG
Unternehmensreformen haben dazu beigetragen, die Kurse am japanischen Aktienmarkt auf den höchsten Stand seit Anfang der 1990er Jahre zu treiben – so hoch wie zuletzt zu Beginn der “verlorenen Jahrzehnte”, in die Japan anschließend abrutschte.
In dieser deprimierenden Phase waren Lohnerhöhungen ebenso selten wie Renditen für Aktionäre. Doch in die japanische Unternehmenskultur, die bislang als wenig veränderungsbereit galt, ist Bewegung gekommen.
Uniqlo versprach seinen Beschäftigten Anfang dieses Jahres Lohnerhöhungen von bis zu 40 Prozent. Die Aktionäre von Canon forderten Diversität im bislang ausschließlich von Männern besetzten Vorstand des Unternehmens. Citizen Watch kündigte an, ein Viertel seiner Aktien zurückzukaufen. Die Tokioter Börse beschwor die Unternehmen, stärker auf ihre Marktbewertungen zu achten und die Rendite für die Aktionäre zu erhöhen.
Angesichts des schwachen Yen und der extrem niedrigen Zinssätze ist es kein Wunder, dass Investoren wie Warren Buffett ihr Geld in Japan anlegen.
Shigeto Nagai, Leiter des Bereichs Japan Economics bei Oxford Economics, ist von der veränderten Preispolitik der Unternehmen sehr überrascht.
„Seit Jahrzehnten kämpfen wir mit diesem disinflationären Paradigma, das von einer stark zementierten Preisbildung gekennzeichnet ist“, sagt Nagai. „Die beispiellosen Schocks in jüngster Zeit aber haben die Preispolitik der Unternehmen wirklich verändert. Vielleicht haben sie die Unternehmen von der Vorstellung befreit, dass man Preise nicht erhöhen kann.“
Laut Nagai haben einige Unternehmen, die für günstige Preise bekannt sind, festgestellt, dass sie selbst in diesem Wirtschaftsumfeld die Preise erhöhen können, ohne Marktanteile zu verlieren. Zu diesen Firmen gehört das bereits erwähnte Unternehmen Uniqlo.
Anleger, die sich fragen, ob es in Japan zu grundlegenden Veränderungen gekommen ist oder ob es sich lediglich um eine weitere Fata Morgana handelt, müssen die aktuelle Dynamik insgesamt in den Blick nehmen, angefangen mit dem fallenden Yen.
„Kann der Yen noch weiter abwerten? Klar kann er das“, sagt Gerwin Bell, Lead Economist für Asien bei PGIM Fixed Income. „Aber ich denke, die japanische Zentralbank würde mit allen Mitteln versuchen, das zu verhindern. Das würde massive Eingriffe bedeuten, massive Stützkäufe. Die Zentralbank hat bereits demonstriert, dass sie nicht zögert, die Liquidität auf dem Markt für japanische Staatsanleihen auszutrocknen; das ist für sie kein Problem. Ich würde den japanischen Zentralbankern also glauben, wenn sie sagen, dass sie eine übermäßige Wechselkursentwicklung nicht tolerieren werden.“
Der Yen wird wahrscheinlich an Wert gewinnen, wenn die japanische Zentralbank ihre ultralockere Geldpolitik aufgibt. So mancher Beobachter verfolgt jedes Wort des Zentralbankpräsidenten Kazuo Ueda, um Hinweise auf das Timing dieser geldpolitischen Trendwende zu erhalten. Nagai erwartet aber, dass die geldpolitische Normalisierung trotz des fallenden Yen und der hartnäckigen Inflation ein sehr allmählicher Prozess sein wird.
DIE AUSWIRKUNGEN
Wenn Polan auf Japan blickt, sieht sie ein Land an einem Wendepunkt. Die aktuelle geopolitische Lage zwingt Japan dazu, seine Wirtschaftsstrategie zu überdenken. Laut Polan gibt es Anzeichen dafür, dass die Erwerbsbevölkerung durch eine zunehmende Zuwanderung steigen könnte.
„In den vergangenen 20 Jahren hat sich Japan einfach nur treiben lassen, ähnlich wie Europa“, sagt sie. „Das können sie besser. Die Wiederkehr eines dynamischen Japan ist möglich.“
Die Spannungen zwischen den USA und China führen zu einem Moment großer Unsicherheit in der Welt. Für Japan ist dies auch eine große Chance, die eine neue Perspektive erfordert, sagt Polan.
„Japan muss aktiv werden und sich daran gewöhnen, Geld auszugeben, sich durchzusetzen und eine regionale Führungsrolle zu übernehmen“, sagt sie.
DAS FAZIT
This is a puzzling moment in the US. It is a very perilous one for China. That makes this a very uncertain moment not just for the two countries, but the world.”
Senior Fellow,
Brookings Institution
Eswar Prasad
im Frühjahr 2023:
größte Lohnerhöhung für Gewerkschaftsmitglieder seit 1993
%
3,58
im Q2 2023
%
14,9
Exporte
Löhne
Ausländische Direktinvestitionen
im Frühjahr 2023: größte Lohnerhöhung für Gewerkschaft-smitglieder seit 1993
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3.58
Löhne
im Q2 2023
%
14.9
Ausländische Direktinvestitionen
Im Fall Japans besteht die Gefahr, dass Anleger sich zu sehr auf geldpolitische Aspekte konzentrieren und dabei Markteffekte übersehen, die sich aus der Entwicklung der Beziehungen zwischen dem Westen und China ergeben.
„Die Entkopplung hat das Profitpotenzial stark eingeschränkt“, sagt Nagai über die Auswirkungen der chinesischen De-Risking-Politik auf Japan. „Und ich glaube, dass immer mehr japanische Unternehmen auf Geschäftschancen im Zusammenhang mit China verzichten müssen. Konsumgüter sind für viele japanische Unternehmen ein sehr attraktiver Markt. Und wenn der Verbrauch weiterhin stagniert, ist das schlecht für die japanischen Exporteure.“
Aber Chip-Kriege und „Friendshoring“ können sich letztlich zu Japans Gunsten auswirken.
„Japanische Unternehmen werden das ‚Friendshoring‘ nutzen, um ihre Märkte und Geschäfte zu internationalisieren“, sagt Nagai. „Die Entscheidungen wurden auf japanische Art getroffen. Ich glaube aber, dass diese zunehmende Zusammenarbeit mit anderen Ländern im Bereich Verteidigung und Dekarbonisierung die Unternehmenskultur wirklich verändern könnte - was sehr, sehr hilfreich wäre für die Steigerung der Produktivität in der japanischen Wirtschaft.“
Unternehmensreformen haben dazu beigetragen, die Kurse am japanischen Aktienmarkt auf den höchsten Stand seit Anfang der 1990er Jahre zu treiben – so hoch wie zuletzt zu Beginn der “verlorenen Jahrzehnte”, in die Japan anschließend abrutschte.
In dieser deprimierenden Phase waren Lohnerhöhungen ebenso selten wie Renditen für Aktionäre. Doch in die japanische Unternehmenskultur, die bislang als wenig veränderungsbereit galt, ist Bewegung gekommen.
EUniqlo versprach seinen Beschäftigten Anfang dieses Jahres Lohnerhöhungen von bis zu 40Prozent. Die Aktionäre von Canon forderten Diversität im bislang ausschließlich von Männern besetzten Vorstand des Unternehmens. Citizen Watch kündigte an, ein Viertel seiner Aktien zurückzukaufen. Die Tokioter Börse beschwor die Unternehmen , stärker auf ihre Marktbewertungen zu achten und die Rendite für die Aktionäre zu erhöhen.
Angesichts des schwachen Yen und der extrem niedrigen Zinssätze ist es kein Wunder, dass Investoren wie Warren
Shigeto Nagai, Leiter des Bereichs Japan Economics bei Oxford Economics, ist von der veränderten Preispolitik der Unternehmen sehr überrascht.
„Seit Jahrzehnten kämpfen wir mit diesem disinflationären Paradigma, das von einer stark zementierten Preisbildung gekennzeichnet ist“, sagt Nagai. „Die beispiellosen Schocks in jüngster Zeit aber haben die Preispolitik der Unternehmen wirklich verändert. Vielleicht haben sie die Unternehmen von der Vorstellung befreit, dass man Preise nicht erhöhen kann.“
Laut Nagai haben einige Unternehmen, die für günstige Preise bekannt sind, festgestellt, dass sie selbst in diesem Wirtschaftsumfeld die Preise erhöhen können, ohne Marktanteile zu verlieren. Zu diesen Firmen gehört das bereits erwähnte Unternehmen Uniqlo.
Anleger, die sich fragen, ob es in Japan zu grundlegenden Veränderungen gekommen ist oder ob es sich lediglich um eine weitere Fata Morgana handelt, müssen die aktuelle Dynamik insgesamt in den Blick nehmen, angefangen mit dem fallenden Yen.
„Kann der Yen noch weiter abwerten? Klar kann er das“, sagt Gerwin Bell, Lead Economist für Asien bei PGIM Fixed Income. „Ich denke, die japanische Zentralbank würde mit allen Mitteln versuchen, das zu verhindern. Das würde massive Eingriffe bedeuten, massive Stützkäufe. Die Zentralbank hat bereits demonstriert, dass sie nicht zögert, die Liquidität auf dem Markt für japanische Staatsanleihen auszutrocknen; das ist für sie kein Problem. Ich würde den japanischen Zentralbankern also glauben, wenn sie sagen, dass sie eine übermäßige Wechselkursentwicklung nicht tolerieren werden.“
Der Yen wird wahrscheinlich an Wert gewinnen, wenn die japanische Zentralbank ihre ultralockere Geldpolitik aufgibt. So mancher Beobachter verfolgt jedes Wort des Zentralbankpräsidenten Kazuo Ueda, um Hinweise auf das Timing dieser geldpolitischen Trendwende zu erhalten. Nagai erwartet aber, dass die geldpolitische Normalisierung trotz des fallenden Yen und der hartnäckigen Inflation ein sehr allmählicher Prozess sein wird.